Der Frankfurter Gewerbeimmobilien-Markt ist für den erhofften „Brexodus“ der Banker gewappnet.
Doch während die Lobbyisten der Region große Euphorie verbreiten, ist eine Karawane von Umzugswagen noch lange nicht in Sicht.
Ganz Europa erstarrte am Morgen des 24. Juni.
Ganz Europa? Nein! Eine ebenso ambitionierte wie vorausschauende Stadt im Herzen Deutschlands hatte ihre Chance gewittert und brachte sich unverzüglich in Stellung: Nur wenige Minuten nach der offiziellen Bekanntgabe des Brexit-Votums schalteten Frankfurts Lobbyisten unter Führung der Standort-Marketing-Gesellschaft „FrankfurtRheinMain GmbH“ im Internet die englischsprachige Seite „welcometofrm.com“ frei, auf der Londoner Banker in der Main-Metropole willkommen geheißen wurden. Gleichzeitig ploppten auf deren LinkedIn- und Twitter-Blogs Anzeigen auf, die direkt auf diese Webseite führten. Schwerpunkte dieser Seite: Wohnen, Büros, Steuern, Ausbildung und Lebensstil. Wen nach der dortigen Lektüre immer noch Fragen zum Wirtschaftsstandort Frankfurt/Rhein-Main plagen, kann anrufen – und zwar rund um die Uhr, verspricht die Marketing-Gesellschaft. Selbstverständlich zum Londoner Ortstarif – auch Banker schauen auf den Penny.
Brexit – London ruft nicht an
Bislang scheint aber kaum jemand zum Hörer gegriffen zu haben. „Das ist ja auch ein langfristiges Angebot“ betont auf Anfrage eine Sprecherin der Frankfurt RheinMain GmbH, die keine Zahl nennen will. „Das Gros der in Großbritannien ansässigen Banken hatte sich nicht mit dem Brexit auseinandergesetzt und ist nun erst mal verunsichert“, so die Sprecherin. Das habe auch der Sprecher der Marketinggesellschaft Eric Menges festgestellt, als er vergangene Woche in London auf Werbetour war.
Den gleichen Eindruck haben die hiesigen Immobilien-Dienstleister gewonnen, die Frankfurts Lobbyisten als Gewinner des Brexit ausgemacht haben. „Chancen für mindestens 10 000 neue Arbeitsplätze“ in der Finanzbranche Frankfurts sieht Hubertus Väth, Geschäftsführer der Finanzplatzinitiative „Frankfurt Main Finance“, die mit der Frankfurt Rhein-Main GmbH und der Frankfurter Wirtschaftsförderung die Werbetrommel für die Main-Metropole rühren. Andere sprechen von 15 000 Jobs, welche die in London ansässigen Banken nach dem Brexit hierher verlagern könnten, sogar von 20 000 ist die Rede. Und für die müssten die Institute Büros anmieten.
Entsprechende Anfragen aus Großbritannien sind allerdings noch bei keinem der international ausgerichteten Immobilien-Dienstleister in Frankfurt eingegangen. Ob BNP Real Estate, CBRE oder Jones Lang LaSalle (JLL) – alle winken ab. „Ich würde mich ja über das Geschäft freuen, aber es ist nun wirklich nicht so, dass Banken oder Unternehmen aus Großbritannien hier Schlange stehen, um sich noch schnell Büros zu sichern, weil es vielleicht bald keine mehr geben könnte“, sagt Carsten Ape, Frankfurter Niederlassungsleiter des Maklerhauses CBRE. Auch Oliver Barth, Niederlassungsleiter von BNP Paribas Real Estate, wundert sich etwas über die herrschende Brexit-Euphorie. Als „extrem ruhig“ beschreibt er die Vermietungssituation mit Blick auf den Brexit. „Wir werden wohl erst eine Nachfrage erleben, wenn Großbritannien den förmlichen Antrag auf Austritt aus der EU gestellt hat“, meint Barth. Der aber könnte bis Jahresende auf sich warten lassen. Entsprechend geht Helge Scheunemann, Chef-Researcher von JLL Deutschland, davon aus, dass „mit Anfragen aus London erst ab Anfang nächsten Jahres zu rechnen ist“.
Mittelfristig biete der Brexit aber durchaus große Chancen für den Frankfurter Büromarkt
– darin sind sich auch die drei einig. Und ob sich nun 10 000, 15 000 oder gar 20 000 auf den Weg von der Themse an den Main machen werden – in Frankfurt steht genug Bürofläche zur Verfügung. Auch darin stimmen sie überein. Zumal es die Banker in der Londoner City gewohnt sind, mit weniger Platz auszukommen als ihre Kollegen in Frankfurt. „Inklusive der Konferenzräume, Nasszellen und Eingangshallen werden hier bei uns zwischen 15 und 23 Quadratmeter pro Mitarbeiter veranschlagt. In London sind es eher 15“, berichtet Barth. Ape geht ebenfalls von dieser Größenordnung aus. Scheunemann rechnet sogar nur mit einer Bürofläche von elf Quadratmetern pro Mitarbeiter.
Heißt: Selbst wenn 20 000 Banker dem Frankfurter Lockruf folgen würden, bräuchten sie insgesamt wohl nicht mehr als 300 000 Quadratmeter. Zwar ist so viel Fläche in Frankfurt zuletzt im Boom-Jahr 2008 vermietet worden – 2015 waren es 203 000 Quadratmeter. Aber diese 300 000 gibt der Frankfurter Büromarkt locker her: Der traditionell hohe Leerstand hat sich laut BNP in den vergangenen zwölf Monaten um vier Prozent verringert – auch weil immer mehr ungenutzte Büros in Wohnungen umgewandelt werden. Gleichwohl sind noch 1,76 Millionen Quadratmeter Bürofläche menschenleer. Und davon verfügen rund 892 000 Quadratmeter über eine moderne Ausstattung, die den Ansprüchen von Banken genügt. Rund ein Drittel dieser geeigneten Fläche liegt wiederum in der City, in die alle Finanzhäuser drängen.
Keine Preissprünge
Zudem sind ja auch noch einige Bürotürme in Bau. Und von den 245 000 Quadratmetern, die da momentan entstehen, sind rund 118 000 noch nicht vermietet. Im Büroturm „Winx“ auf dem Main-Tor-Areal, der Anfang 2018 bezugsfertig sein soll, sind beispielsweise noch rund 12 000 Quadratmeter in den oberen, noch nicht fertiggestellten Etagen zu haben. Für diese Prestige-Flächen müssten die „Insel-Flüchtlinge“ zwar wohl noch etwas mehr auf den Tisch legen als den derzeitigen Frankfurter Spitzenpreis von 38 Euro pro Quadratmeter. Aber gemessen an den Preisen, die in London aufgerufen werden, kommen sie dabei relativ billig weg: Stolze 160 Euro werden in der britischen Hauptstadt verlangt. Und selbst im Vergleich zu Dublin und Paris, die ebenfalls um Londons Banker buhlen, erscheinen die Frankfurter Büros noch preiswert: In der irischen Hauptstadt verlangen die Vermieter in der Fläche bis zu 49 Euro, in der französischen Kapitale bis zu 67 Euro. Und große Preissprünge erwarten die Immobilien-Dienstleister für den Frankfurter Markt auch bei größerem Londoner Zuspruch nicht – in der City würden die Preise leicht steigen, heißt es, aber auch, weil dort neue Flächen entstünden.
Zudem sind auch die sonstigen Lebenshaltungskosten am Main niedriger. Argumente, die Frankfurts Lobbyisten demnächst persönlich in Großbritannien vorbringen wollen – sie planen eine große „Roadshow“ für Großbritannien. Damit der „Brexodus“ die Banker über den Kanal tatsächlich auch nach Frankfurt führt.